Wer sich assimiliert, verliert seine Identität, sein Wesen, seine Sprache und seinen Glauben – er entfremdet sich von seinem eigenen Ich.
Das sagt Mustafa Sait Yazicioglu, stellvertretender türkischer Ministerpräsident, als Begründung dafür, daß er Assimilation ablehnt. Auf die in der Türkei lebenden Kurden angesprochen meint er, daß diese sich nicht zu assimilieren brauchten, denn sie dürften ja ihre eigenen Lieder singen.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein Vergleich zu Deutschland ein. Wir wurden in dem oben stehenden Sinne zwangsassimiliert, als die alliierten Siegermächte uns nach 1945 die amerikanische Kultur aufdrängten und die deutsche Alltagskultur systematisch verdrängten.
Zum Beispiel die Lieder. Von einigen Liedern aus der NS-Zeit abgesehen, ist es uns nicht verboten, unsere eigenen Lieder zu singen. Aber kennt die überhaupt noch jemand? Man kann eine Kultur auch vernichten indem man sie verächtlich macht oder nicht mehr kommuniziert.
Welche Kinder lernen heutzutage denn noch deutsche Lieder in der Schule? Da werden englische Songs geübt oder zweifelhafte Werke irgendwelcher, der Pop-Kultur anhängender Liedermacher. Oder jüdische und andere ausländische Folklore.
Welche Kinder kennen noch deutsche Kinderlieder, oder Spiele zu denen man selber singt? Welche Kinder bekommen von ihren Eltern heutzutage deutsche Wiegenlieder vorgesungen?
Es gibt ein äußerst reichhaltiges und großes deutsches Liedgut mit Liedern aus 1000 Jahren deutscher Geschichte. Einst war das lebendige Tradition, gelebte Alltagskultur.
Für jede Situation gab es die passenden Lieder. Jeder konnte sich selbst in diesen Liedern wiederfinden, sich damit identifizieren. Er wußte, es hat einmal jemand genauso empfunden und gedacht wie ich, es war einmal jemand in genau dieser Situation, der hat das Lied dazu gemacht. Er wußte, er war nicht allein mit seinen Gefühlen und Gedanken, mit seinem Erleben.
Und die Lieder boten Lösungsvorschläge an. Sie zeigten, wie man mit einer bestimmten Situation umgehen kann, sie dienten der Vermittlung von Lebenserfahrung.
Aber wer kennt heute noch unsere Lieder? Das, was als „volkstümliche Musik“ in den Medien präsentiert wird, und die Art wie es präsentiert wird, ist peinlich, beschämend und zutiefst abschreckend. Es ist keine Darstellung und kein Ausdruck von unserem deutschen Liedgut, sondern dessen Verächtlichmachung.
Unser volksnahes Liedgut taugt nicht zur massenmedialen Vermarktung. Es will gesungen werden als Selbstzweck, nicht als Vorführung.
Dass in der Schule wenig deutsche Volkslieder gesungen werden, kann ich aus erster Hand bestätigen. Selbst in den Grundschulen nimmt mit dem immer früher einsetzenden Englischunterricht das Erlernen volkstümlicher Lieder ab. Kinder, die ich in einer KiTa betreut habe, tanzen zu englischer Musik und wollen dem nacheifern. Selbst der Geburtstagssong ist nicht mehr auf deutsch.
Kurios ist auch folgendes: Im Moment bereitet ein Kurs an unserer Schule einen Austausch nach Amerika vor. Ein Kulturprogramm soll das Leben in unserem Land nahe bringen und dafür sollen auch Lieder einstudiert werden … Traurig nur, dass kaum einer noch etwas anderes, als das populär-Geträller in den Radios beherrscht.